Liebe Gemeinde,
der lateinische Name für diesen 4. Sonntag nach dem Osterfest lautet „Kantate“. Das heißt übersetzt: „Singt!“ und stammt aus Psalm 98, 1 („Singet dem Herrn ein neues Lied,denn er tut Wunder.“). Eigentlich ist dieser Sonntag der Sonntag der Kirchenmusik, an dem gar nicht genug musiziert und gesungen werden kann. Freude und Jubel, das Lob Gottes bestimmen diesen Tag – eigentlich ... Der Sonntag Kantate ist in Steinheim und in vielen anderen Gemeinden Konfirmationssonntag – eigentlich. Doch in diesem Jahr ist alles anders. Die Konfirmationen sind wegen der Coronakrise auf unbestimmte Zeit verschoben. Erst nach und nach können Gottesdienste wieder stattfinden – unter strengsten Auflagen. Nächsten Sonntag soll es bei uns in Steinheim wieder losgehen. Doch ausgerechnet der Gemeindegesang, eine wesentliche Äußerung des Gottesdienstes, ist untersagt (neben anderen Einschränkungen), weil er einer Infektionsverbreitung Vorschub leistet. Was für Zeiten!
Auch der heutige Predigttext, passend zum Sonntag Kantate, spricht vom Jubel und von herrlichem Gesang. Es ist ein langer Abschnitt aus dem 2. Chronikbuch, Kapitel 5,in wörtlicher Übersetzung aus dem Hebräischen:
2 Damals versammelte Salomo die Ältesten Israels und alle Stammesoberhäupter, die Familienoberhäupter der Israeliten, nach Jerusalem, um die Bundeslade Jahwes (oder: die Lade des Jahwe-Bundes) heraufzuholen aus der Stadt Davids, das ist Zion.
3 Und es versammelten sich beim König alle Israeliten am Fest, das ist der siebte Monat.
4 Und es kamen alle Ältesten Israels, und die Leviten trugen die Lade.
5 Und sie holten herauf die Lade und das Zelt der Begegnung (=Stiftshütte) und alle heiligen Geräte (oder: alle Geräte des Heiligtums), die im Zelt waren. Und die
Priester und die Leviten brachten sie herauf.
6 Und der König Salomo und die ganze Gemeinde Israel, die sich bei ihm vor der Lade versammelt hatte, opferten Schafe und Rinder, die wegen der Menge nicht gezählt und gerechnet werden konnten.
7 Und die Priester brachten die Bundeslade Jahwes (oder: die Lade des Jahwe-Bundes) zu ihrem Platz, zum Hinterraum des Tempels, zum Allerheiligsten, unter die
Flügel der Cherubim. (geflügelte Mischwesen der göttlichen Sphäre)
8 Und die Cherubim breiteten Flügel aus über den Platz der Lade. Und die Cherubim bedeckten die Lade und ihre Stangen von oben herab.
9 Und die Stangen waren lang, und die Enden der Stangen waren von der Lade her sichtbar vor dem Hinterraum, aber nicht waren sie draußen sichtbar. Und sie (die Lade) ist (oder: sie [die Stangen] sind) dort bis auf diesen Tag.
10 Nichts war in der Lade außer den beiden Tafeln, die Mose dort am Horeb hineingelegt hatte, als Jahwe einen Bund mit den Söhnen Israel geschlossen hatte, als sie aus Ägypten zogen.
11 Und es geschah, als die Priester vom Heiligtum hinauszogen, denn alle Priester, die sich da befanden, hatten sich geheiligt – sie brauchten sich nicht an die
Abteilungen zu halten -
12 als die Leviten, die Sänger, sie alle, Asaf, Heman, Jedutun, und ihre Söhne und ihre Brüder, bekleidet mit Byssus (feiner, weißer Leinenstoff), mit Zimbeln
(Schlaginstrument aus Bronze; Becken), Harfen und Leiern östlich vom Altar standen und bei ihnen um die 120 Priester, die mit Trompeten (metallenes, langes
Blasinstrument) trompeteten;
13 und es geschah, als die Trompeter und Sänger wie EINER waren, um im Einklang anzustimmen, um Jahwe zu preisen und zu loben, und als sie die Stimme erhoben mit Trompeten und mit Zimbeln und mit Musikinstrumenten und als sie Jahwe priesen – ja, er ist gütig, und für ewig währt seine Gnade! - da wurde der Tempel Jahwes von einer Wolke erfüllt.
14 Und die Priester konnten nicht herzutreten, um ihren Dienst zu tun wegen der Wolke, denn die Herrlichkeit Jahwes erfüllte den Tempel Gottes.
Liebe Gemeinde, welches Brausen, welche Kraft, welche Fülle! Man könnte ein ganzes Seminar über diesen Text halten. Da reicht eine Predigt gar nicht aus.
Wir sind Zeugen einer Sternstunde des Volkes Israel. König Salomo hat den Tempel in Jerusalem erbaut. Nun wird das Haus Gottes feierlich eingeweiht. Die heilige Bundeslade, das Symbol des alten Israel, der Ort, über dem sich Gott aus reiner Gnade damals, beim Auszug aus Ägypten,niedergelassen hat, wird an ihren Platz im neuen Tempel gebracht. Die Lade, ein hölzerner Kasten mit Tragestangen, hat eine wechselhafte Geschichte hinter sich. Sie ging in Kämpfen mehrmals an die Philister verloren, wurde zurückerobert und von David schließlich nach Jerusalem überführt (vgl. 1. Samuel 4,1-7,1; 2. Samuel 6, 1-23). Ihr Platz im Tempel ist das Allerheiligste, der Raum, der nur einmal im Jahr vom Hohenpriester betreten werden darf. Die Lade enthält die beiden Steintafeln mit den Zehn Geboten. Sie ist gleichsam der „Fußschemel Gottes“, Symbol der gnädigen Herablassung Gottes. Der Heilige lässt sich in die menschlichen Niederungen herab. Er schließt einen Bund am Berg Horeb/Sinai mit seinem Volk. Gott verspricht, es nie im Stich zu lassen, es zu führen, zu segnen und zu mehren. Wenn Gott einen Bund mit uns Menschen schließt, ist dies immer einseitig. Denn wir wären niemals verlässliche Bundespartner auf Augenhöhe. Wir sind untreu, brechen immer wieder aus dem Bund aus, sind ungehorsam. Doch Gott ist treu. Das hat er bewiesen, als er mit Noah, Abraham und Mose sich selbst zur Treue und Gnade verpflichtet hat. Allein aus Gnade – dieses „Gottesprinzip“ zieht sich durch die ganze Heilige Schrift, bis hin zu Jesus, Gottes endgültigem Bund mit uns.
Das ist der Hintergrund unseres heutigen Abschnitts, liebe Gemeinde. König Salomo veranstaltet die Tempelweihe nicht, um Gott durch beeindruckende Bauleistung und viele Opfer zu beschwichtigen oder gnädig zu stimmen – dieser Gedanke wäre heidnisch und damit töricht. Nein, Salomo und ganz Israel mit ihm feiern die wunderbare Treue Gottes an seinem Volk! Aller Gottesdienst ist die dankbare Antwort der Gemeinde auf Gottes gnädige und zuvorkommende Herablassung!
Die Chronikbücher sind sehr präzise, wenn es um Gottesdienst, Liturgie und Kult geht. Da werden kleinste Details beschrieben, Abläufe exakt dargestellt. Für uns mag
das manchmal umständlich und langatmig klingen. Doch im Endeffekt geht es um die Begegnung des Volkes Israel mit seinem Gott. Es geht um die Begegnung mit dem Heiligen. Es geht um den rechten Gottesdienst, und da gehören ganz wesentlich Musik und Gesang dazu. Beeindruckend muss das damals anzusehen gewesen sein: die versammelte Gemeinde, der König, die Priester und Leviten, alle festlich gekleidet, der feierliche Einzug der Lade, begleitet von mächtigem Gesang und strahlender Musik! Allein 120 Priester mit Trompeten (eine Art Fanfare) und viele Musiker mit Schlag- und Saiteninstrumenten waren anwesend. Gemeinsam stimmten sie an – welch ein Brausen, welche Klänge erfüllten Jerusalem!
Liebe Gemeinde, angesichts unserer bescheidenen Realität mit ihren Corona-Beschränkungen kann man richtig neidisch werden auf den Tempelweih-Gottesdienst damals. Doch muss auch dies gesagt werden: Es sollten noch ganz andere Zeiten über Israel kommen, Zeiten der Depression, Zeiten des Exils, Zeiten, in denen der herrliche Tempel in Trümmern lag und erst nach langer Zeit und viel kleiner wieder aufgebaut wurde. Man kann nicht immer jubelnd Gott preisen. Manchmal ist einem zum Heulen zumute, stimmt man das Kyrie eleison, das Herr, erbarme dich, an und nicht das Halleluja. Manchmal schnürt es einem die Kehle zu. Da geht man als einzelner wie auch als Gemeinde durch geistliche Dürrezeiten, da fallen Glaube und Singen unendlich schwer.
Gerade dann gilt es, sich in Erinnerung zu rufen, worauf es letztlich ankommt: auf die gnädige Gegenwart Gottes. Gottes Herablassung in meine traurige Welt gilt! Er steigt herab zu mir, ist mir nah. Wenn ich ihn preise und jubelnd verkündige, aber auch wenn ich am Boden bin und weit und breit kein Licht meine Dunkelheit erhellt – er ist doch da. An die Zusage seines Bundes will ich mich halten. An Gottes Selbstverpflichtung, sich nie zurückzuziehen von mir, will ich denken. An Jesus will ich denken, den lebendigen Beweis für Gottes Nähe und Bodenkontakt.
Liebe Gemeinde, als damals die große Gemeinde Israel
ein-stimmig, mit einer Stimme, zum Gotteslob anstimmt, da erfüllt plötzlich eine Wolke den Tempel. Die Wolke ist das Zeichen für Gottes Gegenwart. Die göttliche Majestät erscheint, verborgen und damit für uns erträglich. Gott reagiert auf den brausenden Lobgesang. Doch das ist keine Leistung von Salomo und Co. Es ist vielmehr der Beweis für Gottes Bundestreue: Er bindet sich freiwillig an sein Wort. Da, wo das Evangelium recht verkündigt wird, sei es in der Predigt, in der Musik, im Gesang, im Gebet, in den Sakramenten, da ist Gott unter uns (auch ohne Wolke!). Da lässt er sich gnädig herab – uns zugute!
Liebe Gemeinde, als die Wolke damals den Tempel erfüllte, konnten die Priester nicht herzutreten, um ihren Dienst zu verrichten, denn die Herrlichkeit Jahwes erfüllte den Tempel Gottes. Eine Vorwegnahme der Herrlichkeit vor dem himmlischen Thron, wo alle menschlichen Gottesdienste zu Ende sind und die ewige göttliche Liturgie im Angesicht Gottes gefeiert wird. Noch sind wir nicht am Ziel. Wir sind unterwegs zum Ziel – als einzelne Christen wie auch als Gemeinde. Noch leben wir in der Spannung von Gottes Treue und unserer Untreue. Noch sind wir unterwegs zwischen brausendem Halleluja, klagendem Kyrie eleison, Corona-Beschränkungen und zugeschnürter Kehle. Umso mehr lasst uns an Gottes gnädige Herablassung halten, an seine wunderbare Bundestreue, an seine Selbstverpflichtung. Es kommt die Zeit, da Kantate, da das Gotteslob ungetrübt und vollkommen erklingen wird. Bis dahin probieren wir‘s halt, so gut es geht. Hauptsache, unser Herr ist da!
Amen.
Psalm 98, Evangelisches Gesangbuch Nr. 739
Schriftlesung: Hebräer 8, 1-13
Lied: Evangelisches Gesangbuch Nr. 165 (Gott ist gegenwärtig)
Lied: Evangelisches Gesangbuch Nr. 331 (Großer Gott, wir loben dich)
Lied: Evangelisches Gesangbuch Nr. 611 (Ich lobe meinen Gott, der aus der Tiefe mich holt)