Trost & Freude

Steinheim, 22.03.20,
Sonntag Lätare (4. Sonntag der Passionszeit);
Reihe II: Jes. 66, 10-14

Pfarrer Andreas Neumeister

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Liebe Gemeinde,

die Angst krallt sich in diesen Tagen und Wochen in unsere Seele hinein. Wir sind massiv verunsichert und beunruhigt. Das öffentliche Leben kommt zum Stillstand. Gottesdienste dürfen nicht mehr gefeiert werden. Wir leben in alptraumhafter Zeit. Wir wünschen uns, aus dem Alptraum zu erwachen, und dann wäre alles wieder wie vorher. Doch der Alptraum ist Realität. Das Coronavirus hat uns alle im Griff. Dieser unsichtbare, lautlose Feind gewinnt die Herrschaft über unser Leben als Einzelne wie auch als Gesellschaft. Er diktiert uns sein Thema, das alle anderen Themen verdrängt. In Zeiten wie diesen gerät vieles aus dem Blickfeld, so zum Beispiel, dass wir uns in der Passionszeit befinden, also eigentlich über das Leiden und Sterben unseres Herrn Jesus Christus nachdenken. Doch in diesem Jahr ist alles anders ...

Es fällt schwer, dem alles beherrschenden Thema etwas entgegenzusetzen. Und doch wollen wir heute genau dies tun. Es gibt nämlich das andere Thema, das Thema, das Gott und nicht ein Virus setzt! Der heutige Sonntag, es ist der vierte Sonntag in der Passionszeit, trägt den lateinischen Namen „Lätare“, „Freue dich!“ Psalm 84 hat diesem Sonntag den Namen verliehen. Und ein Vers aus dem heutigen Predigttext wurde ursprünglich als Kehrvers zu Psalm 84 gesungen.

Das Thema Gottes für uns an diesem Sonntag ist ein Abschnitt aus dem letzten Kapitel des Propheten Jesaja, Kapitel 66, die Verse 10-14. Ich habe den Abschnitt direkt aus dem Hebräischen übersetzt.

10 Freut euch mit Jerusalem und frohlockt mit ihr (Jerusalem ist im Hebräischen weiblichen Geschlechts), alle, die ihr sie liebt! Seid froh mit ihr mit Wonne, alle, die ihr über sie getrauert habt, 11 damit ihr saugt und euch sättigt an der Mutterbrust ihrer Tröstungen, damit ihr trinkt und euch labt an ihrer vollen Zitze. 12 Denn so spricht der HERR: Siehe, ich wende ihr wie ein Strom Frieden zu und wie ein reißender Bach den Reichtum der Nationen. Und ihr werdet saugen. An der Hüfte werdet ihr getragen werden, und auf Knien werdet ihr liebkost / geschaukelt werden. 13 Wie jemanden, den seine Mutter tröstet, so werde ich euch trösten, und mit Jerusalem sollte ihr getröstet werden. 14 Ihr werdet es sehen, und euer Herz soll sich freuen, und eure Gebeine sollen wie junges Grün sprossen. Und die Hand des HERRN wird sich an seinen Knechten offenbaren, aber seine Feinde wird er Zorn fühlen lassen.

Das Virus hat sein Thema: Krankheit, Angst, Schrecken. Doch Gottes Thema für uns heißt: Freude, Trost, Geborgenheit und Frieden! Auf dieses Thema wollen wir heute hören.

Der Prophet Jesaja empfängt von Gott eine Flut überwältigender Worte und Bilder: da ist das Bild von Säuglingen, die an der Mutterbrust Jerusalems die Tröstungen saugen, mit denen sie, Jerusalem, getröstet wurde. Jerusalem als alma mater, als nährende Mutter! Und Jerusalems Brust ist voll, sie gibt Trostmilch für viele. Jerusalem, die Stadt Gottes, lässt Unzählige teilhaben an den Tröstungen, mit denen sie selbst getröstet wurde. Dann das Bild, wie Gott wie in einem reißenden Strom Jerusalem Friede und Reichtum zuspült. Da ist das Bild von kleinen Kindern, die an der Hüfte ihrer Eltern getragen werden und auf ihren Knien beruhigend geschaukelt und liebkost werden. Und schließlich das Bild, wie Gott persönlich die Seinen tröstet, wie jemanden, den seine Mutter tröstet. Über allem liegen Friede, Geborgenheit und Freude und die Botschaft: Gott gibt sein Volk nicht auf, er wird es wunderbar führen – durch mancherlei Traurigkeiten hindurch, doch am Ende wird es gut.

Liebe Gemeinde, diese Worte und Bilder erscheinen uns in der gegenwärtigen Krise wie aus einer anderen Welt, zu schön, um wahr zu sein. Doch sie sind wahr, eben weil es Gottes Worte an uns sind. Ich könnte Ihnen jetzt manches erzählen über Jesaja und die Zeit, in die hinein er prophezeit. Ich könnte Ihnen davon erzählen, dass diese Zeit für Gottes Volk frustrierend und deprimierend war. Und ich könnte davon erzählen, wie sehr wir Christen auf Jerusalem angewiesen sind und keinerlei Grund haben, uns über das jüdische Volk zu stellen. Ich tu das alles nicht, stattdessen rufe ich uns zu, aus Jesajas Worten und Bildern reichlich Trostmilch zu saugen, um neue Kraft für den so schwierig gewordenen Alltag zu gewinnen, wo nichts mehr selbstverständlich ist. Wie gut tut es da, zu wissen, dass am Ende Gottes Thema die Oberhand haben wird. Corona hat nicht das letzte Wort. Das letzte Wort hat unser Gott, der stärker ist als alles, was uns bedrängt. Am Ende stehen Trost und Freude.

Und auf dieses Trostwort hin will ich glauben, dass der Sturm sich einmal legen wird. Ich will glauben gegen die scheinbar übermächtige Realität, gegen alles Fragen und Zweifeln hindurch. Ich will nicht zulassen, dass die Angst sich festfrisst in mir. Ich will flehen: Kyrie eleison, Herr, erbarme dich! Ich will nicht aufhören, Gott an sein Thema zu erinnern. Ich will mich bergen in seinem Wort, will mich trösten lassen wie ein Kind Trost sucht bei seinen Eltern.

Wir wissen alle nicht, wie lange noch die Zeit andauert, durch die wir hindurchmüssen. Doch einmal wird sie zuende sein. Bis dahin lasst uns aufeinander achthaben. Lasst uns einander trösten und den Weg gemeinsam gehen, auf den wir gestellt sind.

Es ist bizarr: Jesajas Bilder atmen eine tiefe Körperlichkeit und Nähe: das Saugen an der Mutterbrust, das Getragenwerden, das liebevolle Spenden und Empfangen von Trost. Wir hingegen müssen Körperlichkeit und Nähe in dieser Zeit meiden, müssen Sicherheitsabstände einhalten, müssen Gottesdienste unterlassen, um die Ausbreitung des Virus hinauszuzögern. Das ist bitter, doch wir sind und bleiben verbunden im Geist, in der Hoffnung und in der Liebe! Und der Tag wird kommen, an dem wir wieder fröhlich Gottesdienst feiern und uns wieder dankbar innig umarmen können. Er wird kommen, der Tag, an dem wir nicht mehr das Kyrie eleison, das Herr, erbarme dich, singen, sondern von Herzen das Halleluja anstimmen!

Noch sind wir nicht soweit. Bis dahin lasst uns einander an Jesajas Worte und Bilder erinnern. Und lasst uns nicht vergessen: Am Ende steht nicht das Thema des lautlosen, unsichtbaren Feindes. Am Ende steht das Thema Gottes: Freude, Trost, Geborgenheit und Frieden! Ja, laetare, freu dich, freut euch, schon jetzt, gerade jetzt! Amen.

Psalm 84 (Evangelisches Gesangbuch, Nr. 734)
Lied: In dir ist Freude (Evangelisches Gesangbuch, Nr. 398)

1 Kommentar

  1. Gertrud David sagt:

    Am Ende wird alles gut werden, wenn es auch immer wieder schwer ist, zu glauben, dass der Fürst unserer Welt einmal besiegt sein wird,
    Er lässt keine Möglichkeit aus, uns seine große Macht spüren zu lassen.
    In solchen Zeiten, und sie gibt es immer und überall , denken wir an die Worte von Dietrich Bonhoefer:
    “Herr, gib Kraft, zu tragen was Due schickst.
    Ich traue Deiner Gnade und gebe mich ganz in Deine Hand.
    Mach mit mir, wie Du willst und wie es gut für mich ist.
    Ob ich lebe oder sterbe, Du bist bei mir und ich bin bei Dir.”
    Das soll aber nicht heißen, dass wir auch unseren Beitrag leisten sollen.

    Liebe Grüße
    Gertrud David